Medienbildung beginnt zu Hause

Eltern haben mehr Möglichkeiten denn je, zu beeinflussen, wie die Populärkultur ihre Kinder beeinflusst. Der Trick ist, die Medien nicht als Feinde, sondern als Verbündete zu verstehen. Beitrag von Henry Jenkins




Im Oktober [2003] wurde von der Kaiser Family Foundation eine überraschende neue Studie über Medienkonsum bei Vorschulkindern [in den USA] veröffentlicht. Auf der Basis von Telefoninterviews mit mehr als tausend Eltern wurde herausgefunden, dass Kinder unter sechs durchschnittlich gleich viel Zeit mit Medien (118 Minuten) wie im Freien (121 Minuten) verbringen. Dies verursachte einen großen öffentlichen Aufschrei unter denen, die Medienkonsum als ein Problem verstehen.

Das erinnerte mich an W. Russell Neumans Vorhersage in "The Future of the Mass Audience" von 1991, dass das transformative Potential der neuen Medien durch die Beibehaltung von geistigen Haltungen, die sich seit Jahrzehnten bezüglich Massenmedien halten, entschärft werden würde. Es wurde uns beigebracht, dass wir die Medien im Zusammenhang mit Passivität zu sehen, anstatt dass Selektionsfähigkeit, Kreativität, Bewusstsein und Handeln für das neue Medienzeitalter notwendig sind.

Die meisten Ratschläge an Eltern nehmen eine bewahrpädagogische oder verbietende Haltung ein, und raten, die Fernsehgeräte abzuschalten. Es wird für ganz selbstverständlich angenommen, dass es keine konstruktives Verhältnis zwischen Kindererziehung und Populärkultur geben kann, und dass wir daher den Schaden minimieren müssen. Meistens zeigt sich eine Doppelmoral. Es wird betont, dass die Eltern für kindlichen Begegnungen mit Literatur wichtig sind, Populärkultur wir als rein negativ gesehen; Eltern und Kinder werden als passive Opfer, und nicht als ermächtigte Mediennutzer dargestellt.

Solch Rat zeigt seine Wirkung. Die Kaiser Studie zeigte zum Beispiel, dass 90 Prozent der Eltern Regeln haben, was ihre Kinder sehen dürfen, und 69 Prozent darüber, wie viel die Kinder sehen dürfen. Solche Einschränkungen sind kein schlechter Anfang, bei den meisten Eltern endet es hier. Bei einem mediengebildeten Kind können solche Einschränkungen gar nicht notwendig ein. Glücklicherweise sind viele der Eltern heute, speziell die in ihren 20ern oder 30ern selbst Computerspieler oder Teilnehmer von Online-Communities. Sie verstehen instinktiv, was es bedeutet, ihre Kinder auf die neuen Medienumgebungen vorzubereiten.

Medienbildung bezieht sich auf eine Bandbreite von Fähigkeiten, die Kinder brauchen, um vollwertige Teilnehmer in der neuen aktiven Medienkulturen zu werden. Das bezieht sich auf die Verwendung von neuen Technologien, kulturelle Kompetenzen darin, wie Geschichten konstruiert werden und was sie bedeuten, ein Vokabular über die Ästhetik, dass ihre Wertschätzung der verschiedenen kreativen Ausdrucksformen erhöht, und ein kritisches Rahmenkonzept, welches hilft, über die Macht, die große Medienkonzerne auch ein einem Zeitalter immer größer werdender Wahlmöglichkeiten ausüben.

Oft werden die intellektuellen Anforderungen, die Populärkultur stellt, verharmlost - Fertigkeiten, die man erst im Laufe der Zeit erwirbt, und die in informellen Lernsituationen erworben werden. Eltern bieten solch eine informelle Instruktion, indem sie Verhaltensmuster der Mediennutzung vorleben und indem sie Richtlinien aufstellen, darüber wie ihre Kinder Medieninhalte nutzen.

Wir wissen, unsere Kinder sind nicht ausreichend alphabetisiert, wenn sie nicht lesen und schreiben können. Wir sollten auch spüren, dass sich nicht ausreichend gebildet sind, wenn sie zwar Medienprodukte konsumieren, aber nicht produzieren können. Medieninhalten zu schaffen, reicht vom traditionellen Geschichtenschreiben bis zum high-tech Programmieren von Computerspielen. So wie Schreib- und Lesefähigkeiten verschränkt sind, so wirken sich auch die Fähigkeiten zur Produktion und Rezeption von Medieninhalten aufeinander aus.

Eltern beklagen sich oft darüber, dass Populärkultur ihre Fähigkeit unterminiert, ihren Kinder Werte zu vermitteln. In der Praxis haben Eltern jedoch mehr Möglichkeiten, wenn sie die Medien als Verbündeten und nicht als Feind sehen. Angesichts der weiten Bandbreite von Möglichkeiten, unzähligen Kabelkanälen, Spielen, DVDs, Videos und Webseiten, ist es viel eher wahrscheinlich, dass Eltern Medieninhalte finden, die ihre Werte und kulturellen Hintergrund reflektieren, wenn sie nur lernen, danach Ausschau zu halten. Schockierende Bilder in manchen Videospielen ähneln den Kritzelein, die wir selbst als Kinder anfertigten: Bilder von Soldaten, denen der Kopf abgeschossen wird. Der Unterschied ist, dass wir diese Zeichnungen vor den Erwachsenen versteckt hielten, jetzt aber werden sie in aller Öffentlichkeit konsumiert, mitten im Wohnzimmer. Solch öffentliche Konsumation, heißt nicht, dass die dargestellten Handlungen auch gutgeheissen werden. Was Eltern sehen, können sie auch beeinflussen.

Um effektiv einzuschreiten, müssen die Eltern wissen, was ihre Kinder konsumieren, und warum. Eltern sollten mit ihren Kindern fernsehen, Computerspiele spielen, Musikhören und das Web surfen. Sie sollten den Kindern aktives Engagement vorleben; die Kinder fragen, ob sie vorhersagen können, was als nächstes passiert; ihnen verstehen helfen, wie ein Geschehen mit vorhergehenden und nachfolgenden Handlungen zusammenhängt, und diskutieren, was dieses oder jenes Geschehen für die handelnden Figuren bedeutet. (Nur bitte nicht, wenn sie neben mir im Kino sitzen!)

Seien sie nicht frustriert, wenn die Aufmerksamkeit ihres Kindes wandert. Kinder, die jünger als fünf oder sechs sind, sehen meist nur kurze Episoden, anstatt lange Erzählhandlungen mitzuverfolgen. VCRs und DVD-Spieler unterstützen solches Zuschauerverhalten, da Kinder langweilige Passagen überspringen können und sich auf bedeutungsvollen Sequenzen konzentrieren können. Eltern sollten sich auch nicht öfter scheuen, den Pauseknopf zu drücken, wenn es scheint, dass ihr Kind etwas Wichtiges nicht verstanden oder übersehen hat.

Die Beziehung der neuen Medien und der Familie wurde überproportional durch Debatten über die Gewalt in Videospielen geformt, welche sich auf die "Wirkungen" konzentrierte, und nicht auf Mediennutzung. Aus so einer Haltung sind alle gewalttätigen oder angsteinflößenden Inhalte für Kinder nicht geeignet. Aber viele Eltern verstehen, dass man auch via Fiktionen emotionale Themen behandelten kann und sich dadurch Spannungen lösen können, indem sie es den Eltern ermöglichen, über das zu sprechen, was Kindern Angst macht, und angsteinflößende Gedanken unter symbolische Kontrolle zu bekommen. Es ist kein Zufall, dass viel an Kinderliteratur sich mit dem Tod eines Elternteils oder anderer Personen befassen - die Furcht vor dem Verlassenwerden ist etwas, das viele Kinder kennen. Das gleiche Prinzip könnte man auch auf andere Medien anwenden - inklusive mildere Formen von Gewalt, die man dazu nutzen könnten, mit Kindern darüber nachzudenken, wie man mit den eigenen Gefühlen von Aggression umgeht.

eltern
Übersetzt von Henry Jenkins (December 5, 2003) Media Literacy Begins at Home
Copyright
Technology Review 2003.