Historische Geschehnisse, die sich tief in unserer Erinnerung verankert haben, sind zumeist durch ein oder mehrere Bildern dokumentiert, die zum Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses einer Gemeinschaft werden. Auch die Politiker heute sind sich der Macht der Bilder bewusst, und versuchen sich insbesondere in Wahlkampfzeiten, möglichst effektiv medial zu inszenieren.

Das satirisches Video "Staatsvertrag" der Kabarettgruppe
maschek findet sich auf YouTube. Mit diesem Clip lassen sich wichtige Fragen der Medienkunde und Geschichte anschaulich lehren.
Die These des Filmes ist: "Die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags lief 1955 äußerst schmucklos und unprofessionell ab, daher wurde der Staatsakt für die Fernsehübertragung nochmals gedreht - und diesmal nichts dem Zufall überlassen." (
maschek bei Dorfers Donnerstalk, 27. Oktober 2005, ORF/3sat)

Das Video spielt unter anderem auf den österreichischen Nationalmythos von der Trinkfestigkeit des Außenministers Figl an, dem die Unterzeichnung des Staatsvertrages durch die Russen zu verdanken sei. Die Geschichte von der Reblaus und dem österreichischen Staatsvertrag wurde durch eine berühmte Karikatur von E.H. Köhler über die Verhandlungen im kollektiven Volksgedächtnis einzementiert. Bundeskanzler Julius Raab leitet dabei die Verhandlungen mit dem Hackbrett, während
Leopold Figl ihm ins Ohr flüstert: "Und jetzt, Raab, jetzt noch d' Reblaus, dann sans waach!"

In dem Video wird diese Geschichte als Erfindung der "Medienberater" und "Trendforscher" dargestellt, die zusammengekommen waren, um die Unterzeichnung des Staatsvertrages mediengerecht zu inszenieren. Auch der Auftritt auf dem Balkon und die berühmten Worte "Österreich ist frei" wurden demnach von Spindoktoren "eingesagt".

Geschickt werden auch noch mehr prägende Nationalmythen eingeflochten: Edi Fingers "I wea narrisch!" anlässlich des Fußball-WM-Spiels zwischen Deutschland und Österreich 1978 - und ein pointierter Hinweis auf den Nationalmythos vom "Ersten Opfer des Nationalsozialismus": "Osterreich ist frei - von Schuld."


Zu thematisieren wären: die “Gemachtheit” von Nachrichten und von Geschichte, das Verhältnis von Politik und Medien, die Rolle von Spindoktoren, Geschichtsmythen, Macht der Bilder, kollektives Gedächtnis, Grammatik des Films und noch viel mehr.

1. Produzent/Institution Produzent/Institution
Dazu gehören die Kabarettisten von maschek als die Autoren, aber auch die Produzenten der Fernsehserie „Dorfers Donnerstalk“ und der ORF selbst. Innerhalb des Film geht es um die „Medienberater“ und „Trendforscher“, die heute öffentliche Inszenierung der staatstragenden Politiker zur Aufgabe haben. Es stellt sich aber auch die Frage nach den Journalisten, die von der Öffentlichkeitsarbeit, den Informationen, die sie zur Verfügung gestellt bekommen, abhängig sind – die komplexe Frage nach der Verflechtung von Medien und Politik, von Medien und Macht. Wenn auf der einen Seite Politiker Macht auf die Medien ausüben wollen, müssen sie sich andererseits medialer Kritik stellen – zum Beispiel auch in Politsatiren, wie „Dorfers Donnerstalk“.


2. Darstellung/Inszenierung/Repräsentation
Die Frage nach der Darstellung hängt hier unmittelbar mit der ersten zusammen, und stellt sich wiederum zweifach: Textimmanent wollen die Politiker ein positives Image erzeugen, welches durch die Medien transportiert wird. Die „Medienberater“ geben Ratschläge. Auf der kontonativen Ebene bedeutet das: mehrere Limousinen sollen vorfahren, das Schloss soll in Frontalansicht gezeigt werden, der Balkon soll genutzt werden. Was bedeutet das aber auf denotativer Ebene? Es soll Pomp, Macht und Ehre symbolisieren. Die Geschichte von der Trinkfestheit des Aussenminister Figl könnte eine gewisse Volksnähe suggerieren, aber auch negativ aufgefasst werden. Der Vorschlag provoziert daher den besorgten Ausruf: „Wollen Sie uns als Volk von Trinkern hinstellen?“ wird aber durch den Einwurf „Des is mei Stichwort ... ein gutes Tröpferl“ entkräftet.

Wie aber stellen die Satiriker von
maschek die Figuren in ihrer Neuinterpretation dar? Welchen Eindruck erhält der Zuseher, z.B. von Figl?

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Staatsvertrag

Der satirische Remix von historischer Szenen - die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages der Kabarettgruppe maschek - bietet sich an, um komplexe Themen im Unterricht aufzuarbeiten, die von der Macht der Bilder im kollektiven Gedächtnis einer Nation bis zu Fragen der medialen Inszenierung von Politikern heute reichen. Politische Bildung bedeutet auch Medienbildung.



Staatsvertrag

staatsvertrg

Der österreichische Staatsvertrag, der die Souveränität eines unabhängigen und demokratischen Österreichs wieder herstellte, wurde nach zehnjähriger Besatzungszeit zwischen den Alliierten Mächten UdSSR, Großbritannien und Nordirland, USA und Frankreich und Österreich am 15. 5. 1955 abgeschlossen. Er wurde von den Außenministern der Signatarmächte W. M. Molotow, J. F. Dulles, H. Macmillan und A. Pinay sowie dem österreichischen Außenminister Leopold Figl im Schloss Belvedere in Wien unterzeichnet.

Nationalmythos

figl_karrikatur1_gr

Karikatur von E. H. Köhler zu den Verhandlungen der österreichischen Delegation in Moskau im "Simplicissimus", Jg. 1955, Nr. 17., S. 3.
Bildunterschrift: Weaner Charme in Moskau: "Und jetzt, Raab - jetzt noch d` Reblaus, dann sans Waach!"


Zum Weiterlesen

Auf der ORF Seite
So war es wirklich - Der wahre Kern hinter Legenden
findet sich ein Beiträg über österreischische Nationalmythen, als Lesetext und ein OE1 Beitrag als Audiodatei zum Anhören. Konrad Kramar und Georg Mayrhofer prüfen "wahre" Geschichten, die den Österreichern lieb und wert sind, auf ihren Wahrheitsgehalt.

Zum Weiterlesen empfehlenswert auch die Seite des Demokratiezentrums mit einem wissenschaftlichen Beitrag von Reinhard Krammer und Franz Melichar:
Die Karriere der Bilder. Der österreichische Staatsvertrag als Imagination.

Ausserdem auch noch:

Didaktisch-methodische Anmerkungen zum Arbeiten mit Bildern im Geschichtsunterricht.

von Reinhard Krammer und Franz Melichar.



 
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